SCHREIBWEISEN-PODCAST

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Über Gegenwart sprechen (II)

Schreibweisen-Blog

Von Hannah Willcox (Text und Fotos)

 

Nach der Mittagspause ging es mit Urs Stähelis Gedanken zur Temporalität des Bufferings weiter, der sich den Zeitökonomien des Bufferings als medialer Temporaltechnologie und als Managementtechnik widmete. Er fragte, inwiefern durch Buffering eine Art wiederläufige Logik in die Versprechen von Netzwerkgesellschaften eingebaut, wie temporäre Zonen von Nichtanschlussfähigkeit gebildet würden und was dort eigentlich geschehe? Der temporärer Zwischenspeicher des Buffers, der es erlaubt, Unregelmäßigkeiten im Datenempfang auszugleichen, ermögliche gegenüber Nutzer*innen das Streamingversprechen einer ,seamless‘ Kommunikation und eines ,real-time‘-Effekts. Gerade diese ,Flow‘-Erfahrung, die Erwartung einer Echtzeit-Übertragung von Daten häufig an Beschleunigungsdiagnosen gebunden, stelle der Buffer als zeitlicher Puffer zwischen Gegenwart und unmittelbarer Zukunft in Frage. Stäheli hob hervor, dass die technologische Zeitorganisation darüber hinaus im Verhältnis zur Nutzer*innenerfahrung stehe und zwischen beruhigenden Normalisierungseffekten für User*innen und stressvoller Erfahrung einer unerwarteten Pause oszilliere. Philipp Ohnesorge wies in der Diskussion in diesem Zusammengang noch einmal auf das Buffering-Icon als unzuverlässiges Zeichen in Sozialen Medien hin. Buffering, so Stäheli, erweise sich als vielfach populäre Semantik, die eine Ausweitung vom soziomedialen Buffering-Begriff zur Beschreibung von Lebensabläufen ermögliche. Ein Beispiel sei die Autobiografie Buffering. Unshared Tales of a Life Fully Loaded (2016) von Youtuberin Hannah Hart, in dem der Ladevorgang des Lebens systematisch unerwartbare Pausen der Reflexion produziere, die produktiv seien. In Anbetracht dessen offenbare sich die Gegenwart des Buffers als eine Synchronisierungsarbeit zwischen ungewissem Zukunftsbezug und erzwungener ,dead time‘ des Wartens. In Bezug auf die räumliche Einhegung des Wartens stellte Stäheli das Buffering mit Verweis an die Organisationssoziologie als produktive Managementtechnik vor. Dieser „organisational slack“ eröffne regulierte Möglichkeitsräume der Kreativität – ganz im Gegenteil zu den slackern in Richard Linklaters Slacker (1991).

Anschließend schenkte Elias Kreuzmair seine Aufmerksamkeit der Zukunft und den Möglichkeiten die das Futur II als variable Zeitform für diese Untersuchung des Konzepts bereithalte. In Anlehnung an Douglas Rushkoffs Präsentismus-Diagnose des Present Shock (2014) diskutierte er die Idee eines future shock an verschiedenen Texten, die vor dem Hintergrund aktueller Präsentismus-Diagnosen einer zusehends als katastrophal verhandelte Zukunft im Modus des Futur II begegneten und damit einen veränderten Umgang mit dieser markierten. Das Futur zwei, das Kathrin Röggla in „Gegenwart vs. Futur II“ (2016) als abgeschlossene Zukunft entwirft, sei dabei immer schon auf problematische Weise in die Gegenwart integriert. Problematisch deshalb, weil es den Blick auf eine offene Zukunft unmöglich mache und zur Irritation von Gegenwarts(beschreibungen) werde. In Armin Nassehis Muster: Theorie der digitalen Gesellschaft (2019) wird die Zukunft symbolisch im Archiv abgelegt: Zukunftsglaube als Metaprophezeiung, die immer richtige wie falsche Versionen der Zukunft enthalten. Einem pragmatischen Ansatz verpflichtet setze er in Muster auf Problemlösung, eindebugging, und traue sich damit kaum über die Gegenwart hinaus. Es folgte ein Blick in das kollektive E-Mail-Tagebuch Futur II (2016) der Diskurs-Pop-Gruppe Ja, Panik, in dem diese auf einem emphatischen Konzept von Zukunft besteht. Im Modus des Glaubens an das Kommende wird Futur II für Ja, Panik zu einem Vorgehen, das künstlerische Prozesse in einem utopischen Sinne für zukünftige Anschlussmöglichkeiten offenhalte. Letztlich beschäftige sich auch Armin Avanessian mit Möglichkeiten, wie der diagnostizierte Präsentismus überwunden werden könne. Mit dem Konzept der Zukunftsgenossenschaft, das Avanessian in #Akzeleration (2013) entwirft, stelle er sich einerseits entschieden gegen Nassehi und radikalisiere Rögglas Vorstellung einer aus der Zukunft beeinflussten Gegenwart, was hier zu einer grundlegend veränderten Zeitwahrnehmung werde, für die es schreibend Gegenstrategien zu suchen gelte. Miamification (2017), ein Tagebuch zu einer Miami-Reise Avanessians, ließe sich demnach als ein solcher Versuch lesen, eine Zukunftsgenossenschaft zu erschreiben, die zur Reetablierung der Zukunft als Möglichkeitsraum führe. In der Diskussion wurde insbesondere darauf verweisen, dass alle diese Ansätze die Reetablierung des linearen Zeitpfeils anstrebten anstatt Versuche zu dessen Überwindung zu skizzieren.

Zum Abschluss des Workshops las Elisa Aseva aus ihren Facebookposts, die sie 2021 in ihrem ersten Buch Über Stunden. Posts veröffentlichte, und sprach über ihre Schreibpraxis auf Facebook, das Verhältnis von digitalem Text und Buch sowie dem Schreiben als Arbeit. Aseva ging auf die Vorteile ein, die ihr Facebook für ihr Schreiben gegenüber anderen Medien biete. So ließen sich ihre „gedichtähnlichen“ Kurztexte nicht in einen zeichenbeschränkten Twitterpost drängen und sie betonte immer wieder die sofortige Interaktion mit zuzuordnenden Lesenden, die ihr die Feedbackstruktur Facebooks ermögliche. Der eigene Facebookaccount funktionierte zunächst als erwartungsfreier Raum, in dem aus dem Affekt heraus und zu jeder Zeit geschrieben werden konnte und den sie zunehmend als eine Art Notizbuch mit Publikum verwendete: „Die Dinge zu den eigenen Bedingungen erzählen“. Mit der Verwandlung ausgewählter Posts in ein Buch kamen jedoch auch verlegerische Bedingungen hinzu. Während der Verlag sich so beispielsweise eine Übertragung der Interaktion zu den Facebookposts in Buchform gewünscht hätte, entschied sich Aseva dagegen, denn „Lebendigkeit und Momenterlebnis kann man nicht einfach festhalten“. Im Gespräch ging die Autorin auf die Zeitlichkeit der Texte ein, die sie in Über Stunden zwar nach Datum ordnete, aber nicht chronologisch vorlas. Sie sprach mit Hinblick auf die Flüchtigkeit der Posts über die unvorhersehbare Veränderung der Zeitlichkeit und des Lektüreeindrucks. Mit Blick auf den Buchtitel besprach Aseva die verschiedenen Zeitökonomien von Über Stunden, die der Verlag ein „Abschröpfprodukt des Alltags einer Arbeiterin“ nennt.[1] Schreibzeiten seien bei Aseva häufig Arbeitspausen und der Feierabend und in diesem Sinne zwar Überstunden im Verhältnis zur Lohnarbeit, was klassenkritische Fragen von Zugang zu Kunstproduktion aufwerfe, Schreiben als Arbeit bedeute aber auch ein privilegiertes Arbeiten im Vergleich zu anderen Brotjobs. Ihr autofiktionales Schreiben erzähle über diese Stunden und von der sich daraus ergebenden Zeitwahrnehmung: „aber ich habe einfach nie verstanden, weshalb eine solch übergroße ordnung sich nicht ereignen sollte wie ein flug in alle richtungen oder zur mitte, sondern als fahrt auf einer öden, abfahrtslosen autobahn. ernsthaft zeit, eine fucking autobahn?“[2]

Vielleicht lässt sich am Ende des Workshops aber zumindest für die aktuelle Zeitwahrnehmung und die prekäre Rede von der Gegenwart doch eine neue Abfahrt erahnen. Ein kooperatives interdisziplinäres Arbeiten am Begriff hat neben vielen neuen Einsichten vor allem eine neue Orientierung in der Reflexion über das Gegenwartskonzept eröffnet, wenn danach gefragt wurde, ob überhaupt über eine Gegenwart gesprochen werden kann: Ein Nach der Gegenwart. Sowohl in der représentation du présent, der retroaktiven Reversibilität des Schreibens nach der Gegenwart, dem Abstand zu ihr in musikalischen Zeitgenossenschaften, dem Streamingsversprechen, das klarstellt, dass es keine ,real time‘ geben kann als auch der Zukunft, die im Modus des Futur II die Gegenwart in unterschiedlichen Graden zu bestimmen mag, ist es enthalten. Das ,nach‘ und ,re-‘ ist so nicht mehr nur Teil einer Abstandnahme und Reflexion, die vermutlich nicht nur mit Blick auf Digitalität und Soziale Medien ein Teil unseres Gegenwartsverständnisses ist, sondern erscheint als immanenter Bestandteil unseres Gegenwartsbegriffs und unserer Fähigkeit über sie zu sprechen.

 

[1] o.V.: „Elisa Aseva – Über Stunden“. In: Weissbooks.com weissbooks.com/products/uber-stunden, 2021 [zuletzt eingesehen am 24.11.22].

[2] Elisa Aseva: Über Stunden: Posts. Berlin 2021, S. 101.

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