Dissertationsprojekte
DoktorandInnen des Arbeitsbereichs:
Katharina Krüger
Arbeitsbereich: Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie
Betreuer: Prof. Dr. Eckhard Schumacher
Arbeitstitel
Die Entstehungsgeschichte von Wolfgang Koeppens Jugend
Sandra Markiewicz
Arbeitsbereich: Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie
Betreuer: Prof. Dr. Eckhard Schumacher
Arbeitstitel
Talking Bodies, Talking Psyche. Narrative aus dem Erfahrungsspektrum von Gewalt und Trauma
Abstract
Das Dissertationsprojekt Talking Bodies, Talking Psyche. Narrative aus dem Erfahrungsspektrum von Gewalt und Trauma widmet sich der transdisziplinären Einbettung von Traumaforschung in die Literaturwissenschaft. Auf Basis einer close reading-Analyse dreier gegenwartsliterarischer Texte werden aktuelle Trauma-Narrative herausgearbeitet, um zu einer emanzipatorischen Diversifikation derselben beizutragen und den literaturwissenschaftlichen Diskurs um relevante Erkenntnisse aus der jüngsten psychologischen und kognitionswissenschaftlichen Forschung zu erweitern. Nicht zuletzt lassen sich aus ihnen interessante Einblicke in den Einsatz und die Wirkung rhetorischer Mittel sowie formalstilistischer Entscheidungen gewinnen. Viel entscheidender für die Zielsetzung der Arbeit ist jedoch das Zusammenspiel von Körper/Leib und Geist/Psyche, welches sich informativ und eindrücklich am Beispiel von Traumatisierungsvorgängen und -auswirkungen sowie deren Handhabung analysieren lässt.
Der Begriff des Embodiments, der Verkörperung, drückt die Erkenntnis aus, dass „der Geist bzw. die Psyche als das System, das Denken, Handeln und Fühlen integrieren kann, immer in einem Bezug zum Körper und zur Umwelt steht“. (Sabine Trautmann-Voigt und Bernd Voigt) Das individuelle körperlich-mentale Traumaerleben und das jeweils daran anschließende Verhalten wirken sich unmittelbar auf die Positionierung des Individuums in sozialen Beziehungen aus. Gleichzeitig gilt auch in Bezug auf Trauma, dass sozial(politische) Mechanismen des öffentlichen Diskurses und der gesellschaftlichen Normierung Einfluss auf das individuelle Erleben und Handeln nehmen. Aus unserer natürlichen Veranlagung zur Imitation von Verhalten und sozial (bspw. familiär oder medial) vorgelebten oder kulturell (innerhalb des Theaters, von Bildungseinrichtungen etc.) suggerierten Rollen speisen sich Identitäten, die wir beispielsweise über wahrgenommene (Körper-)Bilder in unser Wissen über Selbst und Umwelt integrieren – und verkörpern.
Das Projekt nimmt die traumatischen Folgen von Gewalterfahrungen und deren narrative (Re-)Konstruktion zum Ausgangspunkt. Ziel ist es hierbei u.a., das Bewusstsein dafür zu schärfen, wie essenziell relevant eine Diversifikation von Trauma-Narrativen und den darin enthaltenen Rollenbildern in öffentlichen Diskursen, kulturellen Produkten wie der Literatur und damit auch in der literaturwissenschaftlichen Forschung ist. Durch die transdisziplinäre Zusammenführung von Wissenschaftsdiskursen in der vernetzenden Analyse der literarischen Texte soll zu ebendieser Diversifikation beigetragen werden.
Förderung: Bogislaw-Stipendium der Universität Greifswald (seit April 2020)
Dustin Matthes
Arbeitsbereich: Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie
Betreuerin: Dr. habil. Heide Volkening
Arbeitstitel
Reale Virtualität. (Digitale) Simulation als Thema und Schreibweise in Gegenwartsliteratur und Computerspiel
Abstract
Computerspiele sind seit ihrer Popularisierung in den 1980er und 1990er Jahren und der Entstehung von Let‘s Plays und Gaming-Livestreams in den 2000er und 2010er Jahren zu einem heute allgegenwärtigen Teil der post-digitalen Alltags- und Popkultur geworden. Parallel zu dieser Entwicklung ist auch das wissenschaftliche Interesse an der Computerspielforschung gewachsen, das sich an seinem Ursprung vor allem aus der Ludologie, häufig zurückgeführt auf Johan Huizingas Werk Homo Ludens. Der Ursprung der Kultur im Spiel (1938) und aus der Narratologie der Literatur- und Filmwissenschaften speiste.
Das Dissertationsprojekt setzt an dieser Stelle der Institutionalisierung der Game Studies an und stellt sich die Frage, was die literaturwissenschaftliche Analyse aus der Computerspielanalyse gewinnen kann bzw. wie „computerspielhaft“ die Gegenwartsliteratur nach der Digitalisierung ist. Dazu werden auf theoretischer Ebene Gedanken zum Verhältnis von Literatur und (Computer-)Spiel aufgegriffen, ebenso wie Theorien zum „filmischen“ und transmedialen Erzählen. Auf dieser Grundlage sollen dann gegenwartsliterarische Texte und aktuelle Computerspiele vergleichend analysiert werden.
Förderung: Bogislaw-Stipendium der Universität Greifswald (seit Oktober 2020)
Philipp Nobis
Arbeitsbereich: Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie
Betreuer: Prof. Dr. Eckhard Schumacher
Arbeitstitel
Zukünftige Gegenwarten in gegenwärtigen Zukünften
Abstract
Die Vorstellung einer linear verlaufenden Zeit und die mit dieser Vorstellung verbundene Erwartungshaltung einer positiv konnotierten Fortschritts- und Wachstumsgeschichte ist in den letzten Jahrzehnten in die Kritik geraten. Dystopien prägen nicht erst nach Serienerfolgen wie beispielsweise Black Mirror oder Utopia (sowohl das britische Original als auch die US-Amerikanische Adaption) zunehmend das kulturelle Landschaftsbild der Zukunftsvorstellungen. Gerade die Namensgebung der Serie Utopia kann durch ihre Differenz zum dystopischen Inhalt der Serie als Marker für eine zumindest kritische Haltung gegenüber jenen positiven Zukunftsszenarien, welche im Geschichtsverständnis des Fortschrittsdenkens häufig versprochen werden, gesehen werden. Die Zunahme von Dystopien zeugt jedoch über eine kritische Haltung hinaus von einer sich verändernden Haltung oder Positionierung zur Zukunft. „In der Dystopie kommt die Zukunft also nur als etwas vor, das verhindert werden muss.“ (Berg/Dath 2021) Ein solches Verhältnis zum Zukünftigen ist zwar in Bezug auf den menschengemachten Klimawandel durchaus berechtigt, kann sich jedoch für die Literaturwissenschaft und ihr Arbeitsfeld nur als unzureichend erweisen. Es gilt vielmehr die Bezugnahme vom Gegebenen auf das noch nicht Eingetretene zu fokussieren, also das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft ins Zentrum zu rücken. Eine solche Fokussierung erscheint besonders ergiebig, da zukünftige Verhältnisse jenseits ihrer gegenwärtigen Beschreibung als Prognosen oder Zukunftserzählungen nicht existieren. Die Beschreibung der Zukunft operiert so im Modus einer anwesenden Abwesenheit und ist „zugleich ihre Erfindung und Festlegung in sprachlicher Form“ (Esselborn 2020).
Das für das Dissertationsprojekt ausgewählte Korpus unterschiedlicher Zukunftserzählungen – bisher bestehend aus den Texten Gondwana (2014) von Simon Urban, Individutopia (2018) von Joss Sheldon, GRM. Brainfuck (2020) von Sibylle Berg, Venus Siegt (2016) und Gentzen oder: Betrunken aufräumen (2021) von Dietmar Dath, sowie aus ausgewählten Erzählungen aus dem Erzählband 2029 Geschichten von morgen (2019) – bietet die Grundlage für die Analyse folgender Interesseensschwerpunkte:
- Es soll ein exemplarischen Überblick über unterschiedliche Entwürfe möglicher zukünftiger Gesellschaftsformen und die in ihnen enthaltenen Verfahren der Wirklichkeitsbildung dargestellt werden.
- Die möglichen Gemeinsamkeiten und Differenzen dieser Zukunftsentwürfe sollen heraus gearbeitet werden, um strukturelle Ähnlichkeiten und Unterschiede detaillierter analysieren zu können.
- Die Bezugnahmen zwischen anwesender Zeit (Gegenwart) und abwesender Zeit (Zukunft), sowohl innerhalb der Texte, als auch durch sie ausgeführt, sollen ebenfalls berücksichtigt werden.
Um dieses Analysevorhaben zu erreichen wird ein relationales Zeitverständnis reflektiert werden, welches, ausgehend von Achim Landwehrs Begriff der ‚Chronoferenz‘ (Landwehr 2016) und Thomas Khuranas Konzeption der ‚Zeitlichkeit des Sinns‘ (Khurana 2007), eine neue Perspektive für das Verständnis von Gegenwart und Gegenwartsliteratur ermöglichen soll. Der Fokus richtet sich dabei auf die Bezugnahmen zwischen zukünftiger Gegenwart (Zukunft) und gegenwärtiger Zukunft (Gegenwart), da es nach der Ansicht des Autors genau das ist, was durch die verschiedenen Texte vollzogen wird. So beispielsweise im Bereich der Digitalisierung der Gesellschaft, welcher in den Texten reflektiert und in ihrer Durchdringung als noch weiter vorangeschritten behandelt wird. Es entsteht so eine Struktur von Anschluss und Differenz zwischen zukünftiger Gegenwart und gegenwärtiger Zukunft.
Förderung: Landesgraduiertenförderung aus Landesmitteln (seit Oktober 2021)
Philipp Ohnesorge
Arbeitsbereich: Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie
Betreuer: Prof. Dr. Eckhard Schumacher
Arbeitstitel
Verfahren der Heimsuchung. Gespenster des Realismus nach der Digitalisierung
Abstract
„Heimsuchung, das war das Wort, das sich aufdrängte. Rückkehr ins Gedächtnis, Befreiung aus der Verschüttung. Unverhoffte Bergung.“ In dem Moment, in dem ein 2019 erschienener Roman wie Miami Punk von Juan S. Guse poetologisch wird, muss er seinen eigenen Souveränitätsverlust eingestehen: ‚Heimsuchung‘ ist nicht nur ein möglicher Weg erzählerischer Darstellung, sondern drängt sich auf – wie die Äußerung eines frei über sein Material verfügenden Erzählers mit den herkömmlich-mimetischen Ambitionen eines realistischen Romanprojekts mutet das nicht mehr an. Stattdessen wird dem Material selbst hier gewissermaßen die agency zugestanden, sich aus der Virtualität heraus als Spuk zu materialisieren. Was bedeutet das für ein Erzählen, das sich – „AUF DEM WEG ZUR WIRKLICHKEIT“ (Guse) oder etwa im Fall von Kathrin Röggla als „Sichabarbeiten an der Realität“ („Deckerzählung“, 2020) – in der Tradition literarisch-realistischer Anliegen entwirft?
Nun stehen realistische Schreibweisen nicht erst seit Roland Barthes‘ Diktum des „Erbrechens der Stereotypen“ auf dem Prüfstand, müssen sich hinterfragen und rechtfertigen – die Möglichkeit, Welt so darzustellen, ‚wie sie wirklich ist‘, steht allerspätestens mit der Theoriebildung des Poststrukturalismus zur Debatte. Zweifel und Reflexionsversuche begleiten das Projekt realistischer mimesis jedoch schon seit dem 19. Jhd. (vgl. etwa Begemann 2013). Anliegen des Dissertationsprojekts ist es, solche Momente anhand einer Analyse gespenstischer Elemente in den Fokus zu nehmen.
Lektüren realistischer Gegenwartsprosa – Gegenstand der Arbeit sind Texte wie Terézia Moras Das Ungeheuer (2013), Kathrin Rögglas Nachtsendung. Unheimliche Geschichten (2016) oder eben Guses Miami Punk – sollen so ein „Verfahren der Heimsuchung“ beschreibbar machen. Hierzu soll einerseits eine literaturwissenschaftliche Aktualisierung des Verfahrensbegriffs ausgehend von formalistischer Theoriebildung (vgl. Šklovskij 1917) fruchtbar gemacht werden, andererseits Heimsuchung als textuelles Phänomen in den Fokus rücken, das von der Theoretisierung von Schrift und Spur in Jacques Derridas Grammatologie (1967) bis zu seiner Formulierung einer hantologie reicht, wenn es 1993 in Marx’ Gespenster heißt: „Die Heimsuchung gehört zur Struktur jeder Hegemonie“ – dies gilt auch für die semiotischen Hegemonien realistischer Darstellung, die Wirklichkeit als Frames und Scripts des Bekannten begreift.
Gerade aus dieser Verbindung motivischer und theoretischer Konzepte entsteht hier die besondere Sensibilität für historisch-kontextuelle Gegebenheiten und Bedingungen eines „Verfahrens der Heimsuchung“: Aus der unabdingbaren Mitreflexion der lebensweltlichen und medialen Umgebung einer Post-Digitalität (vgl. Cramer 2014) entsteht eine geschärfte Perspektive auf die Risse in Textproduktion, Worldbuilding und Vermittlung nach der Digitalisierung, die den Gespenstern und ihren Begleitphänomenen den Einfall in ‚die Wirklichkeit‘ ermöglichen – eben wie eine „Rückkehr ins Gedächtnis, Befreiung aus der Verschüttung. Unverhoffte Bergung.“
Magdalena Pflock
Arbeitsbereich: Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie
Betreuer: Prof. Dr. Eckhard Schumacher
Arbeitstitel
280 Zeichen Gegenwart. Postdigitale Literatur und Soziale Medien
Abstract
Auch wenn seine Geschichte der Mobilität schon früher begann, erlebt der Mikroblogging-Dienst Twitter seit dem Aufkommen von Smartphones einen ständigen Zuwachs an User*innen. Mit nur 1,4 Mio. täglichen Nutzer*innen liegt er zwar weit hinter Facebook (23 Mio.) und Instagram (9 Mio.), dennoch stellt Twitter mit seinen spezifischen Eigenheiten einen wichtigen und beliebten Forschungsgegenstand dar, der neben politikwissenschaftlicher und soziologischer auch literaturwissenschaftlicher Betrachtungen bedarf. Die literaturwissenschaftliche Untersuchung von Twitter, bzw. von Tweets, lässt sich u. a. darauf begründen, dass ein in beide Richtung gehender Fluss zwischen Twitter und dem Literaturbetrieb erkennbar ist: Autor*innen wie Sibylle Berg, Saša Stanišić und Berit Glanz sind nicht nur auf dem Buchmarkt etabliert, sondern nutzen das auf Mikrotexten basierende soziale Netzwerk regelmäßig. Gleichzeitig lässt sich eine Bewegung in beide Richtungen feststellen, die dazu führt, dass Twitteruser*innen aufgrund ihrer Twitteraccounts zu Schriftsteller*innen eigener Bücher werden (z.B. @renatebergmann, @akkordeonistin, @LaVieVagabonde).
Politiker*innen, Sportler*innen, Musiker*innen und auch Schriftsteller*innen nutzen Twitter als Marketingplattform. Das Internet, die Digitalisierung und der Geltungsdrang über die Sozialen Medien sind auch Themen, die sich in Sibylle Bergs GRM – brainfuck wiederfinden und dort in einer Zukunftsdystopie gipfeln, die als logische Konsequenz der Digitalisierung dargestellt wird. Jedoch finden Soziale Medien nicht nur als konkrete Zitate innerhalb der gegenwärtigen Literatur statt, sondern haben auch formale Einflüsse auf Literaturschaffende. So beschreibt Glanz den Reiz an Twitter darin, in extremer Verknappung etwas literarisch zu formulieren. Jenseits der in der Öffentlichkeit stehenden Personen gibt es viele private User*innen, die nicht nur stumm mitlesen, sondern Twitter auf eine andere Art nutzen, wie die bereits erwähnten Accounts. An diesem Punkt setzt das Interesse der Dissertation an, da sich in diesem Bereich des Mikroblogging-Dienstes kreativ und literarisch schreibende Accounts finden lassen.
Ziel ist es, die Fragen nach dem Zusammenspiel von Literatur und Twitter zu beantworten und dabei sowohl auf formgebende als auch auf inhaltliche Aspekte einzugehen. Durch Soziale Medien wird jedem ein Zugang zu diesem „Literaturnetzwerk“ ermöglicht, daher ist es wichtig darauf einzugehen, ob es sich nur um eine Subkultur handelt, oder ob es sich um ein Sprungbrett auch für marginalisierte Gruppen handeln könnte, denen es durch bestehende Strukturen zunächst schwerer gemacht wird, Teil des Literaturbetriebes zu werden. Besonders auf Twitter lässt sich das Netzwerk, das Literaturschaffende, -vermittelnde und -forschende geschaffen haben, gut erkennen. Durch Retweets und Replies tauschen sie sich zu bestimmten Themen aus – diese können sowohl literaturthematisch als auch rein privat sein – und inspirieren sich gegenseitig. Hierbei stellt sich die Frage, ob die twitternden Literaturschaffenden auf Twitter ein „soziales Netzwerk“ schaffen und welche Möglichkeiten und Chancen sich daraus ergeben. Die sogenannte „Literaturbubble“ umfasst sowohl Wissen-schaftler*innen, Literaturinteressierte und Autor*innen. Es gilt herauszufinden, inwiefern es sich dabei um eine Randerscheinung Twitters handelt und dieses Literaturnetzwerk Einflüsse auf die Literatur haben kann.
Innerhalb der Dissertation sollen also drei verschiedene Aspekte herausgearbeitet und reflektiert werden: 1. Bereits etablierte Autor*innen und ihre Twitternutzung mit Bezug zu ihren Romanen, 2. Das „soziale Literaturnetzwerk“ und seine Bedeutung für die Gegenwartsliteratur und 3. Literatur auf und für Twitter – was sie ausmacht und welchen Beitrag sie zu den Schreibweisen der Gegenwart leistet.
Nina Pilz
Arbeitsbereich: Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie
Betreuer: Prof. Dr. Eckhard Schumacher
Arbeitstitel
Der Wahrnehmungswandel des Ostseeraums im Pandemiediskurs. Eine narratologische Annäherung
Abstract
In ihren Auswirkungen auf gesellschaftliche Strukturen und Prozesse prägt die Coronapandemie auch das öffentliche Erzählen. Eine epochale Krise wie die gegenwärtige Pandemie stellt etablierte Narrative auf die Probe und verlangt nach neuen Erzählungen, die es ermöglichen, neuartigen Herausforderungen entsprechend zu begegnen.
Das im Rahmen des DFG-Graduiertenkollegs „Baltic Peripeties. Narratives of Reformations, Revolutions and Catastrophes“ entstehende Promotionsprojekt nimmt die Coronapandemie als Wendepunkt für öffentliche Erzählungen über den Ostseeraum in den Blick. Anhand eines deutschsprachigen Zeitungskorpus werden verfestigte Narrative über Mecklenburg-Vorpommern und Schweden unmittelbar vor und während der Krise aufgespürt und so die Auswirkungen des pandemiebedingten Umbruchs auf das öffentliche Erzählen nachgezeichnet. Journalistische Texte werden dabei als diskursiv verwobene Wirklichkeitserzählungen (Klein/Martínez 2009) verstanden, die bedeutenden Anteil am Formen und Etablieren neuer Narrative haben.
Das Projekt verbindet narratologische Methoden mit diskurs- und korpuslinguistischen Ansätzen und leistet auf diese Weise einen Beitrag zur Pandemieforschung an der Schnittstelle von Narratologie und Diskursanalyse.
Tobias Surborg
Arbeitsbereich: Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie
Betreuerin: Dr. habil. Heide Volkening
Arbeitstitel
Büro-Landschaft. Robert Walsers literarische Orte und die Moderne
Abstract
In zahlreichen Texten des 19. beziehungsweise 20. Jahrhunderts (so etwa in Wilhelm Raabes Die Akten des Vogelsangs, Herman Melvilles Bartleby, the Scrivener oder Franz Kafkas Das Schloss) gerät die Bürokratie zum wesentlichen Bestandteil des Narrativs. Dort, wo durch die Großstadt zuvorderst räumliche Spannungen hinsichtlich Natur und Landschaft und vice versa bestehen, entwickelt sich in der literarischen Moderne das Büro zum bemerkenswerten Schauplatz: Angesichts der herrschenden Verwaltungsform wird dieser Raum nachgerade unverzichtbar, weil in ihm alle wichtigen Verwaltungstätigkeiten stattfinden, die zur Verwaltung der Bevölkerung als auch der Wirtschaft notwendig sind.
Das Projekt hat seinen Ausgang in Robert Walsers Texten über Angestellte: In der Textammlung namens Im Bureau. Aus dem Leben der Angestellten, die von den beiden Walser-Forschern Lucas Marco Gisi und Reto Sorg im Jahr 2011 herausgegeben wurde, erweist sich das Büro womöglich als räumlicher Gegenentwurf zur Natur beziehungsweise zur Landschaft. Damit ließe sich zugleich das einschlägige Verhältnis von Großstadt – Natur – Landschaft noch anders verstehen: an die Stelle der Großstadt rückt das Büro. Walsers Texte Angestelltenstücke beinhalten zudem humoristische Elemente, die durch den Rückgriff auf räumliche Gegebenheiten rationalisierte bürokratische Tätigkeiten ironisieren. In diesem Zug werfen sie auch die Frage nach der Beziehung von Protagonisten und den ihm umgebenden Raum auf.
Die Arbeit untersucht mithilfe prominenter Raumtheorien (Juri Lotman, Michail Bachtin) und einschlägiger Texte von Siegfried Kracauer und Georg Simmel sowie zeitgenössischen Texten zur Bürokratie die räumlichen Beziehungen in Angestelltentexten von Robert Walser. Seine Werke könnten sich darüber hinaus als Grundlage erweisen, weitere moderne Texte derselben Gattung auf ihre räumliche Verfasstheit zu untersuchen.
Andrea Werner
Arbeitsbereich: Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie
Betreuer: Prof. Dr. Eckhard Schumacher
Arbeitstitel
„Ich teile das, weil das die Realität ist“ – Zur Medialität und Ästhetik des Autor*innenfotos nach der Fotografie
Abstract
„Der Literaturbetrieb ist“, wie Marc Reichwein 2019 im Feuilleton der Welt bemerkt, „ein visuelles Regime, das ganz auf die Präsenz von Personen setzt: vom Autorenfoto auf dem Buchumschlag bis zum Interview auf dem ‚Blauen Sofa‘, vom Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis bis zum Instagram-Account“. Obwohl das Dichtertum an sich zunächst „eine gesichtslose Arbeit“ ist, da sich Autor*innen zum Schreiben „aus der sozialen wie aus der medialen Welt ausblende[n]“ (Walter Grasskamp), bedarf es dennoch der öffentlichen Aufmerksamkeit, um als Schriftsteller*in erfolgreich zu sein. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Bildnis, dessen Bildsprache genau wie die Schreibweise eines literarischen Textes medialen und kulturellen Wandlungsprozessen unterliegt und diese zugleich hervorbringt. Wie bereits im 19. Jahrhundert mit der Entwicklung fotografischer Verfahren schon das Autor*innenfoto „die Bildtraditionen der Autorendarstellung“ nicht bruchlos fortsetzt (Matthias Bickenbach), so führt auch die Digitalisierung zu grundlegenden Veränderungen visueller Paratexte.
Gegenwärtig erscheint vor allem Instagram als der Ort, der für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Bild von besonderer Bedeutung ist. Um zu zeigen, wie Schriftsteller*innen in Social Media ein Selbst entwerfen und präsentieren, nimmt die interdisziplinäre Arbeit ausgewählte Autor*innenfotos, die auf Instagram veröffentlicht wurden, exemplarisch in den Blick. Ziel der Analyse ist es, die medialen und ästhetischen Besonderheiten herauszuarbeiten, die die fotografische Selbstdarstellung der Autor*innen auf der bildbasierten Plattform als eine neue Phase der visuellen Inszenierung von Autorschaft erscheinen lassen und damit die Vorstellungen und Erwartungen vom Dichterdasein hinterfragen. Von besonderem Interesse ist dabei eine Funktionalisierung, die das Selfie über die Aufgaben des herkömmlichen Autor*innenfotos hinaus erfährt und die eine bloße Statusmeldung übersteigen. Die Analyse setzt fotografische Verfahren, Mediensysteme und unterschiedliche Bildmedien zueinander in Beziehung und arbeitet anhand von kulturwissenschaftlichen sowie soziologischen Ansätzen verschiedene Deutungsperspektiven heraus.
Ulrike Wolter
Arbeitsbereich: Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie
Betreuerin: Dr. Eva Blome (Vertr.-Prof. Uni Hamburg)
Arbeitstitel
Androgyne Schreibweisen. Androgynie und Intersexualität in (deutschen) Gegenwartsromanen
Abstract
Spätestens seit der griechisch-römischen Antike ist die Vorstellung von Androgynität Teil unserer Kultur. Platons Kugelmenschen oder der Mythos um Hermaphrodit aus Ovids Metamorphosen sind nur zwei Beispiele für die Trennung bzw. Vereinigung der Geschlechter. Verdeutlichen sie zum einen den Status androgyner Wesen als etwas Besonderes, gar Gottähnliches, stellen sie zugleich die Frage nach der Verkörperung dieser Androgynität, die sich im heutigen Begriff der Intersexualität fassen lässt.
Besonders seit der Jahrtausendwende widmen sich Romane verstärkt diesem Thema, indem sie intersexuelle Figuren in den Mittelpunkt der Handlung stellen. Daher geht dieses Dissertationsprojekt in einem ersten Schritt der Frage nach, wie mithilfe der Darstellung intersexueller Figuren landläufige Vorstellungen im Hinblick auf den männlichen/weiblichen Körper dekonstruiert werden. So wird in Texten der deutschen Gegenwartsliteratur, wie z.B. bei Ulrike Draesner und Sybille Berg, der Hermaphrodit zur Herausforderung für die Heteronormativität seiner Umgebung. Abseits der körperlich manifesten Intersexualität sind auch jene Figuren von besonderem Interesse, die sich in ihrem Verhalten durch ein androgynes Agieren zwischen den Geschlechterrollen auszeichnen.
In einem zweiten Schritt wird der Verbindung von dieser inhaltlichen Ebene mit einer androgynen Schreibweise nachgegangen. In Auseinandersetzung mit der écriture féminine und dem historischen Diskurs um den männlichen Stil, versucht diese Arbeit Antworten auf die Frage zu finden, was weibliches, was männliches und was letztlich androgynes Schreiben sein kann?
Förderung: Bogislaw-Stipendium der Universität Greifswald (seit April 2020)