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Call for Papers

Schreibweisen der Gegenwart. Zeitdarstellung und Zeitreflexion in der Gegenwartsliteratur

Doktorand*innen-Sommerschule im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald
Montag, 30. Juni – Freitag, 4. Juli 2025
Wissenschaftliche Leitung: Professor Dr. Eckhard Schumacher (Universität Greifswald)

Bewerbungsfrist: 14. April 2025

Seit einigen Jahren fallen auch in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur Schreibweisen auf, die überkommene Auffassungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft problematisieren, alternative Formen der Zeitdarstellung und Zeitreflexion entwickeln und so aktuelle gesellschaftliche Dynamiken und Krisen verhandeln. Auf je verschiedene Weise werden etablierte Chronologien und vertraute Zeitordnungen gestört, dezentriert oder verschoben, wenn Sharon Dodua Otoo in Adas Raum die Erfahrungen wiederkehrender Figuren in mehreren ‚Schleifen‘ aufeinander bezieht, Olivia Wenzel in ihrem Roman 1000 serpentinen angst durch narrative Loops und spiralfömige Erzählbewegungen eine Poetik der ‚Transtemporalität‘ (Colvin 2022) entfaltet oder die Protagonistin von Barbi Marković’ Die verschissene Zeit in die Vergangenheit der 1990er Jahre der postjugoslawischen Kriege reist, um sie zu „überschreiben“. In vielen ‚postdigitalen‘ Texten wird Zukunft explizit krisenhaft (Kreuzmair 2021), in der Prosa von Joshua Groß, Leif Randt und Julia Zange lassen sich auf je verschiedene Weise Verfahren der ‚Gegenwartsvergegenwärtigung‘ beobachten (Schumacher 2023), bei Juan S. Guse irritieren Glitches im Modus der Heimsuchung und des Gespenstischen die Zeitordnung (Ohnesorge 2022). 

Häufig kommen, implizit oder explizit, Bezüge auf zeittheoretische Konzepte ins Spiel: So wie Donna Haraways Variationen von ‚speculative fabulation‘ (2016), Karen Barads Reflexionen zu „troubling times“ und zur „urgency to trouble time“ (2018) oder Rosi Braidottis Überlegungen zur „continuous tense of becoming“ (2013) dem ‚posthumanistischen‘ Erzählen Impulse geben, sind auch Korrespondenzen zwischen ‚postmigrantischen‘ Texten und zeittheoretischen Ansätze in den Postcolonial, Black und Queer Studies zu beobachten (z.B. Keeling 2019, Muñoz 2019). Die hier verhandelten Fragen bleiben aber nicht auf die skizzierten Zusammenhänge beschränkt, so wie auch das Problem einer Verortung von ‚Gegenwart‘ im „gigantischen Panorama der geologischen Zeit“ (Falb 2015), das von ganz unterschiedlichen literarischen Texten aufgeworfen wird, nicht auf den Anthropozän-Diskurs reduziert werden kann. Das gilt analog auch für Peter Osbournes Frage nach „the future of the contemporary“, die angesichts einer „ongoing, global diffusion of a temporal structure“ über den Kunstdiskurs hinaus relevant erscheint (Osbourne 2022). Wie verhalten sich dazu langfristig angelegte Projekte literarischer Zeitreflexion wie die von Rainald Goetz, der immer wieder erneut zu einer ‚Geschichte der Gegenwart‘ ansetzt und seit einigen Monaten täglich auf Instagram publiziert, oder Botho Strauß, der schon immer und immer wieder „in einer anderen Zeit“ und „aus anderer Zeit“ (Theisohn 2024) schreibt?

Die Sommerschule „Schreibweisen der Gegenwart“, die vom 30. Juni bis zum 4. Juli 2025 im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald stattfindet, bietet Promovierenden mit Dissertationsprojekten zur Gegenwartsliteratur (Neuere deutsche Literatur und Komparatistik) die Möglichkeit, sich gemeinsam mit Fragen und Formen von literarischer Zeitdarstellung und Zeitreflexion auseinanderzusetzen. Mit den Gastdozent*innen Professor Dr. Sarah Colvin (Cambridge) und Professor Dr. Philipp Theisohn (Zürich) sowie Professor Dr. Eckhard Schumacher (Greifswald) werden vormittags in Seminaren ausgewählte literarische und theoretische Texte diskutiert. Die Nachmittage sind reserviert für Präsentationen, in denen die Promovierenden, fokussiert auf Fragen von Zeitdarstellung und Zeitreflexion, Einblicke in ihre Dissertationsprojekte geben. Am 1. Juli wird das Programm durch einen öffentlichen Abendvortrag von Sarah Colvin ergänzt: “Haunting times: Ghosted memory and epistemic revenants in Serhiy Zhadan’s Voroshilovgrad and NoViolet Bulawayo’s Glory”. Der Vortrag wird in englischer Sprache gehalten, die Seminare und Kolloquien der Sommerschule finden auf Deutsch statt (mit der Möglichkeit, ins Englische zu wechseln).

Während der Veranstaltung werden täglich Kaffee und Mittagessen zur Verfügung gestellt, zudem werden die Kosten für voraussichtlich zwei gemeinsame Abendessen übernommen. Eine Teilnahmegebühr wird nicht erhoben. Die externen Teilnehmer*innen erhalten für die Kosten für Reise und Unterkunft einen Zuschuss von 400 Euro. Die Zahl der Teilnehmenden ist begrenzt. Wenn Sie sich für die Sommerschule bewerben möchten, senden Sie bitte ein Motivationsschreiben mit einem kurzen CV (zusammen maximal 1 Seite) und ein Abstract (ca. 1 Seite, maximal 3000 Zeichen) für eine 20minütige Präsentation aus dem Zusammenhang Ihres Dissertationsprojekts, fokussiert auf Fragen von Zeitdarstellung und Zeitreflexion in der Gegenwartsliteratur.

Motivationsschreiben, CV und Abstract fügen Sie bitte in einer PDF-Datei zusammen und senden diese per E-Mail an: eckhard.schumacheruni-greifswaldde

Ende der Bewerbungsfrist: 14. April 2025.

 

Barad, Karen: „Troubling Time/s and Ecologies of Nothingness: Re-turning, Re-membering, and Facing the Incalculable“, in: Matthias Fritsch / Philippe Lynes / David Wood (Hg.): Eco-Deconstruction. Derrida and Environmental Philosophy, New York 2018, S. 206-248.
Braidotti, Rosi: The Posthuman, Cambridge 2013.
Colvin, Sarah: „Freedom Time: Temporal Insurrections in Olivia Wenzel‘s 1000 Serpentinen Angst and Sharon Dodua Otoo‘s Adas Raum“, in: German Life and Letters 75 (2022), S. 138-165.
Falb, Daniel: Anthropozän. Dichtung in der Gegenwartsgeologie, Berlin 2015.
Haraway, Donna J.: Staying with the Trouble. Making Kin in the Chthulucene, Durham / London 2016.
Keeling, Kara: Queer Times, Black Futures, New York 2019.
Kreuzmair, Elias: „Die Zukunft der Gegenwart (Berlin, Miami). Über die Literatur der ‚digitalen Gesellschaft‘“, in: Text+Kritik. Zeitschrift für Literatur. Sonderband: Digitale Literatur II (X/2021), S. 35-46.
Muñoz, José Esteban: Cruising Utopia. The Then and There of Queer Utopia, New York 2019.
Ohnesorge, Philipp: „‚nicht eingefroren, sondern vital u. lebendig‘. Glitches als Heimsuchung in Juan S. Guses Miami Punk“, in: Elias Kreuzmair / Eckhard Schumacher (Hg.): Literatur nach der Digitalisierung. Zeitkonzepte und Gegenwartsdiagnosen. Berlin/Boston 2022, S. 147-171.
Osbourne, Peter: Crisis as Form, London 2022.
Schumacher, Eckhard: „Nach der Digitalisierung. Literatur als Gegenwartsvergegenwärtigung“, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 97 (2023), S. 877-885.
Theisohn, Philipp: Denken nach Botho Strauß. Begegnungen in einer anderen Zeit, Berlin 2024.

Kontakt: 

Prof. Dr. Eckhard Schumacher
Institut für deutsche Philologie, Universität Greifswald
Rubenowstraße 3, 17489 Greifswald
https://germanistik.uni-greifswald.de/schumacher/