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Panel: Germanistentag 2025

Philipp Ohnesorge, Eckhard Schumacher, Hannah Willcox (Universität Greifswald)
CfP: „Interferenzen in gegenwartsliterarischen Verfahren der Zeitdarstellung. Postmigration, Posthumanismus und Weird Fiction im Dialog“

Panel auf dem 28. Germanistentag, 14. bis 17. September 2024
Themenbereich 2: Formen und Prozess von Dialog

Verfahren der Zeitdarstellung fallen im Kontext der Gegenwartsliteratur immer wieder dadurch auf, dass sie eine Trennung verschiedener Zeitebenen in Frage stellen und Überlagerungen inszenieren: Jenseits kulturkritischer Beschleunigungsthesen wird gesellschaftliche Realität konturiert als ein literarischer Gegenstand, in dem sich die Dimensionen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gegenseitig durchdringen oder stören. So kommen Interferenzen in den Blick, die auf texttheoretischer Ebene mit Begriffen wie ‚Polyphonie‘ und ‚Dialogizität‘ (Bachtin) erfasst worden sind. Das Panel möchte prüfen, wie jene Störungen, die in gegenwartsliterarischen Texten produktiv gemacht werden, in diesem begrifflichen Kontext literaturtheoretisch spezifiziert bzw. erweitert werden können.

In den letzten Jahren sind einerseits Texte erschienen, die auf verschiedene Weise als Darstellungen gegenwärtiger Zukünfte (Esposito, 2007) lesbar werden, indem sie einen Umgang mit Klimakatastrophe (Roman Ehrlich: Malé, 2020), Künstlicher Intelligenz (Raphaela Edelbauer: Dave, 2021) oder Virtualisierung der Lebenswelten (I.V. Nuss: Die Realität kommt, 2022) imaginieren, während andererseits Schreibweisen einer als Weird Fiction positionierten Literatur Eingang in den deutschsprachigen Sprach- und Diskursraum finden. Texte von Charlotte Krafft („Schmerzensbringer“, 2020) oder Juan S. Guse („Im Falle des Druckabfalls“, 2022) thematisieren dabei den Einbruch des Seltsamen oder Bizarren, das nicht nur „out of place“, sondern auch „out of time“ ist (Fisher, 2016), in eine Gegenwart, die versucht auf diesen ‚Glitch‘ zu reagieren, der mit etablierten Zeitordnungen auf fremde bzw. weirde Weise interferiert (Cubitt, 2017; Weinelt, 2023). Das Panel fragt danach, wie derartige Texte Störungen der Zeitebenen darzustellen versuchen und welche Zeit- und Wirklichkeitsvorstellungen dadurch sichtbar gemacht werden.

Ebenfalls im Sinne einer Verhandlung von Interferenzen der dargestellten Zeitebenen sowie Gegenwartsauffassungen verfahren gegenwartsliterarische Texte, die im Sinne einer ‚radikalen Vielfalt‘ (Czollek, 2018) oft autofiktional über mehrere Generationen sowie postmigrantische und queere Figuren of colour hinweg erzählen. Romane wie 1000 serpentinen angst (Olivia Wenzel, 2020), Unser Deutschlandmärchen (Dinçer Güçyeter, 2022) oder Dschinns (Fatma Aydemir, 2022) erzählen auf nicht-chronologische Weise, indem sie die konsekutive Beziehung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hinterfragen und damit die dominanten temporalen Logiken von Linearität, Kausalität und Tiefe stören, um in einem „queer[en]“ Sinne die „errant, eccentric, promiscuous, and unexpected organizations of social life“ (Keeling, 2019) aufzuzeigen.

Das Panel wird fragen, inwiefern sich dabei Berührungspunkte zu theoretischen Konzepten der Black und Postcolonial Studies (Afro-/Africanfuturism, Kritische Fabulation, Afrofabulationen), der Queer Studies (Queer Utopia, Queer Time) und dem aktuellen theoretischen wie gesellschaftlichen Diskurs zum Postmigrantischen ergeben. Während sich in ihrer geteilten Emphase auf Relationalität durchaus auch ein produktiver Anschluss an Überlegungen eines kritischen Posthumanismus – Speculative Fabulation, Sympoiesis, Making-Kin (Haraway, 2016) – bietet, ist mit der Adressierung des Posthumanistischen ein Bereich angesprochen, der menschliche Zeitlichkeitsvorstellungen schließlich auch im Hinblick auf ihre Skalierbarkeit hinterfragt, wenn Konzepte wie bspw. eine „Tiefenzeit“ (McPhee, 1998) auch in der narrativen Gestaltung deutschsprachiger Literatur virulent werden oder auf andere Weise ein narrativ-dialogisches Verfahren verschiedener Zeitebenen inszeniert wird (Sabine Schönfellner: Herbstwespen, 2020).

Dem Panel geht es einerseits darum, oftmals getrennt voneinander betrachtete Gegenstände zu vergleichen, sie auf ihre theoretischen und poetologischen Implikationen hin zu untersuchen und die Frage danach zu stellen, ob Bereiche der Gegenwartsliteraturforschung, die sich postmigrantischem, posthumanistischem Schreiben oder Texten einer Weird Fiction verschrieben hat, in einen produktiven Dialog miteinander gebracht werden können, wenn sie im Hinblick auf ihre Verfahren der Zeitdarstellung betrachtet werden.

Das Panel soll sich zusammensetzen aus einer Einleitung der Organisator:innen, drei (den Teilnehmer:innen zuvor zur Verfügung gestellten) Impulsvorträgen (jeweils 15 Min.) sowie einer abschließenden, das Plenum einbeziehenden Diskussion (30 Min.), mögliche Impulse wären etwa:

  • Lektüren literarischer Einzeltexte: Wie verfahren Texte, die mit postmigrantischen, posthumanistischen oder einer Weird Fiction zuzuordnenden Themen arbeiten, konkret im Hinblick auf ihre Zeitdarstellung? Welche Tendenzen werden dabei sichtbar, die sich im Kontext einer Beschäftigung mit Dialogizität erschließen lassen?
  • Vergleiche dialogischer Darstellungsverfahren von Zeit: Wie lässt sich das Feld der im Fokus des Interesses stehenden gegenwartsliterarischen Texte strukturieren und welche unterschiedlichen Entwicklungen werden an welchen Punkten sichtbar bzw. ablesbar?
  • Kontextualisierungen von intertextuellen/intermedialen Bezügen: In welchen Referenzsystem verorten sich die genannten Schwerpunktthemen der zu untersuchenden Gegenwartstexte im Hinblick auf ihre Zeitdarstellung? Welche Bezüge werden hergestellt und wie werden diese im engeren Sinne in einen Dialog etwa mit der histoire der Texte gebracht?
  • Theoretische Impulse: Wie lassen sich zentrale Begrifflichkeiten im Kontext dieses Forschungsgegenstands (Interferenz, Dialogizität) aus der Perspektive der germanistischen Literaturwissenschaft schärfen und produktiv machen? Welche interdisziplinären Entwicklungen oder Diskurse liefern dabei besondere Impulse?

Vorschläge für Impulsvorträge werden erbeten in Form eines Abstracts (maximal 350 Wörter) ergänzt um ein Kurz-CV des:der Bewerber:in (maximal 200 Wörter) und sind bis zum 31. August 2024 als ein PDF-Dokument per unten angegebener E-Mail an die Panel-Organisator: innen zu richten.

Literatur:

Aydemir, Fatma: Dschinns. München 2022.
Cubitt, Sean: „Glitch“. In: Cultural Poetics 19.1 (2017), S. 19-33.
Czollek, Max: Desintegriert euch! München 2018.
Edelbauer, Raphaela: Dave. Stuttgart 2021.
Ehrlich, Roman: Malé. Frankfurt am Main 2020.
Esposito, Elena: „Gegenwärtige Zukunft und zukünftige Gegenwart“. In: dies.: Die Fiktion der wahrscheinlichen Realität. Frankfurt am Main 2007. S. 50-67.
Fisher, Mark: The Weird and the Eerie. London 2016.
Güçyeter, Dinçer: Unser Deutschlandmärchen. Berlin 2022.
Guse, Juan S.: „Im Falle des Druckabfalls“. Bachmannpreis, Text Juan S. Guse D, bachmannpreis.orf.at/stories/3156041/, 2022 (zuletzt aufgerufen am 27. Juni 2024).
Haraway, Donna: Staying with the trouble: Making kin in the Chthulucene. Durham 2016.
Keeling, Kara: Queer Times, Black Futures. New York 2019.
Krafft, Charlotte: „Schmerzensbringer“. In: dies.: Die Palmen am Strand von Acapulco, sie nicken / Eine endlose Geschichte über den Tod in einer fremden Welt. Berlin 2020. S. 7-18.
McPhee, John: Annals of the Former World. New York 1998,
Nuss, I.V.: Die Realität kommt. Zürich 2022.
Schönfellner, Sabine: Herbstwespen. Berlin 2022.
Weinelt, Nora: „Scheitern als Chance, Glitch als Widerstand. Formen der Nichterfüllung in der zeitgenössischen Queer Theory“. In: Bildbruch – Beobachtungen an Metaphern 5: Glitches (Frühjahr 2023). Herausgegeben von Janneke Meissner, Philipp Ohnesorge, Eckhard Schumacher und Jodok Trösch. S. 150-165.
Wenzel, Olivia: 1000 serpentinen angst. Frankfurt am Main 2020.

 

Kontakt:

Philipp Ohnesorge
philipp.ohnesorgeuni-greifswaldde
Institut für Deutsche Philologie
Universität Greifswald
Rubenowstr. 3
17489 Greifswald