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Thomas, Thomas und Thomas sowie Thomas, Thomas und Thomas

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Was wäre, wenn man die Shortlist und den*die Gewinner*in des Buchpreises statistisch aus den Metadaten der bisherigen Shortlist-Titel vorhersagen könnte? Was für Muster kennzeichnen die Auswahl? Und welche Titel der diesjährigen Longlist könnten aus dieser Sicht auf die Shortlist kommen?

Wenn man die Vornamen der Autor*innen als Indikator für ihr Geschlecht nimmt, kommt man für die Shortlists seit der ersten Preisverleihung im Jahr 2005 auf eine Verteilung von 62 Prozent Bücher männlicher Autoren zu 38 Prozent Bücher weiblicher Autorinnen. Auf die Shortlist zu kommen ist also mit einem männlich konnotierten Autor*innennamen deutlich wahrscheinlich als mit einem weiblich konnotierten. Interessant ist, dass die Jurys diese Ungleichverteilung auf der Shortlist bei der Bestimmung der*des Preisträger*in offensichtlich auszugleichen versuchen. Unter ihnen sind 52 Prozent weibliche und 48 Prozent männliche. Rein statistisch gesehen müsste also dieses Jahr ein Mann den Buchpreis gewinnen. Da mit Blutbuch (DuMont) von Kim de l’Horizon aber erstmals ein Buch einer nonbinären Person auf der Longlist ist, besteht auch die Möglichkeit eine*n Preisträger*in jenseits der bisherigen Zweiteilung zu küren.

Gute Chancen für Thomas, Michael und Monika

Gute Shortlist-Chancen haben Bücher von Menschen, die Thomas heißen. Thomas Glavinic, Thomas Hettche, Thomas Kunst, Thomas Lehr, Thomas Melle und Thomas von Steinaecker kommen auf insgesamt zehn Shortlist-Titel. Gewonnen haben sie allerdings nie. Gleiches gilt für Martin, Michael, Monika, Reinhard, Clemens und Jan, die alle jeweils zwei Mal vorkommen. Das heißt für dieses Jahr, dass Reinhard Kaiser-Mühlecker und Jan Faktor, die beide schon mit anderen Büchern vertreten waren, wieder gute Chancen auf die Shortlist haben, sie sich jedoch keine Gewinnchancen ausrechnen können. Unter den Gewinner*innen des Buchpreises sind neben Ursula, Julia und Katharina, Frank, Bodo und Eugen übrigens auch Terézia und Saša vertreten.

Wer ein Buch schreibt, das es auf die Shortlist des Deutsche Buchpreis schaffen soll, sollte es möglichst bei Suhrkamp veröffentlichen, zumindest aber bei Hanser. Letzterer Verlag war 2021 mit ganzen drei Titeln auf der Shortlist vertreten, Suhrkamp schaffte dies im Jahr 2017. Insgesamt sind 15 Prozent der Shortlist-Titel bei Hanser erschienen, 18 Prozent bei Suhrkamp. Danach folgen Kiepenheuer & Witsch und S. Fischer, die jeweils ungefähr 10 Prozent der nominierten Bücher stellen. Knapp dahinter steht Rowohlt. Trotz der vielen Shortlist-Platzierungen hat nur ein Titel von Hanser jemals den Buchpreis gewonnen, Arno Geigers Es geht uns gut im Jahr 2005. Suhrkamps Quote ist mit 21 Prozent, also vier Gewinner*innen bei 19 Shortlist-Titeln, wesentlich besser. Mindestens je ein Titel von Hanser (Dschinns von Fatma Aydemir, Auf See von Theresia Enzensberger oder Ein simpler Eingriff von Yael Inokai) und Suhrkamp (Rombo von Esther Kinsky oder Geschichte eines Kindes von Anna Kim) sollten es aber auf die Shortlist schaffen.

Ein Wort, ein Titel

26, also ungefähr ein Viertel aller Shortlist-Bücher seit 2005 haben nur ein Wort als Titel. Besonders häufig sind Fremdworttitel wie Indigo, Identitti oder Hool, in die sich von der diesjährigen Longlist Anna Yeliz Schentkes Kangal oder Jochen Schmidts Phlox einreihen. Auch Zwei-Wort-Titel sind ähnlich häufig vertreten. Auffallend sind hier Artikel-Substantiv-Kombinationen: Auf der Liste der Shortlist-Bücher seit 2005 finden sich Das Mädchen, Der Allesforscher, Der Weltensammler und Die Mittagsfrau, Die Habenichtse, Die Schmerzmacherin, Der Vogelgott und Das Ungeheuer. Fast 70 Prozent der mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Titel hatten ein oder zwei Wörter im Titel. Dies trifft auch auf 11 der 20 diesjährigen Longlist-Titel zu.

Drei-Wort-Titel sind auf der Shortlist ähnlich oft vertreten wie solche mit einem Wort oder zwei Wörtern. Typisch sind Titel wie Romeo oder Julia und Adam und Evelyn sowie Das flüssige Land, Das dunkle Schiff oder Das bessere Leben. Nur zwei Mal allerdings gewann ein Drei-Wort-Titel den deutschen Buchpreis. Entscheidend scheint zu sein, ein Verb im Titel zu haben: Es gewannen Du stirbst nicht von Kathrin Schmidt (Kiepenheuer & Witsch, 2009) und Tauben fliegen auf von Melinda Nadj Abonji (Jung und Jung, 2010). Unter den selteneren Vier- und Fünf-Wort-Titeln scheint dies ebenfalls zuzutreffen: Sie brachten die Gewinner Es geht uns gut von Arno Geiger (Hanser, 2005) und In Zeiten des abnehmenden Lichts von Eugen Ruge (Rowohlt, 2011) hervor. Dass Verben in Titeln zentral sind, scheint allerdings noch nicht in die Marketingabteilungen der Verlage durchgedrungen zu sein. Kein einziges der Bücher auf der diesjährigen Longlist versucht es mit dieser Strategie. Bekannt zu sein scheint allerdings, dass man mit Sechs-Wort-Titeln wie Die Ordnung der Sterne über Como oder Die Dame mit der bemalten Hand keine Chance hat. Waghalsig aber erfolgreich sind hingegen Titel mit genau vierzehn Wörtern: Jan Faktors Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag (Kiepenheuer & Witsch, 2010) schaffte es ebenso auf die Shortlist wie Frank Witzels Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 (Matthes & Seitz Berlin, 2015), das den Buchpreis schließlich sogar gewann.

Wer wird den Deutschen Buchpreis 2022 gewinnen?

Wie wird die Shortlist 2022 aus dieser Perspektive also aussehen? Und wer wird den Deutschen Buchpreis 2022 gewinnen? Jan Faktors Trottel (Kiepenheuer & Witsch) und Reinhard Kaiser-Mühleckers Wilderer (S. Fischer) sind wegen Namen, Titeln und Verlagen wahrscheinliche Kandidaten für die Shortlist. Dazu Anna Kims Geschichte eines Kindes (Suhrkamp) und Theresia Enzensbergers Auf See (Hanser), weil sie in erfolgreichen Verlagen veröffentlichen und die Titel eine gute Länge haben. Kim de l’Horizons Blutbuch (Dumont) hat einen Ein-Wort-Titel und in Bezug auf die Kategorie Geschlecht eine Ausnahmeposition. Nichtsdestotrotz ist die Shortlist meist männlich dominiert, weswegen diese um Jochen Schmidts Phlox (C.H. Beck) ergänzt wird. Da, wie oben beschrieben, ein Mann den Buchpreis gewinnen muss, dieser jedoch nicht Reinhard oder Jan heißen darf, bleibt dann auch nur Phlox als Gewinner-Titel. Dafür würde auch der fremdsprachige Ein-Wort-Titel sprechen.

Vermutlich kommt es aber ganz anders und keiner dieser Titel wird auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2022 stehen. Jochen Schmidt wird ihn auch nicht gewinnen. Die Jury wird den*die Preisträger*in nicht nach statistischen Erwägungen auswählen. Spannend wird jedoch zu sehen sein, welche der beschriebenen Muster sie reproduziert. Bekanntgegeben wir die Shortlist am 20. September, der*die Gewinner*in am 17. Oktober.

Elias Kreuzmair
 

Änderung am 19.09.: Die Anzahl der Longlist-Titel von Hanser und Suhrkamp im Jahr 2022 war falsch angegeben. Diese falschen Angaben wurden berichtigt.

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