"Koeppen im Herbst" - 2019
Aus dem Nachlass: Mechanische Schreibmaschine vom Typ OLIVETTI Studio 42, die von 1935 bis etwa 1952 in Italien produziert wurde.
© Wolfgang-Koeppen-Archiv Greifswald, Andrea Werner
Wolfgang Koeppen: Tasso. Typoskript.
NDR Kultur: Das Archiv der aussterbenden Geräusche. Die Schreibmaschine.
© NDR Kultur
"Koeppen im Herbst" - 2018
Fotos: Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald, Vincent Leifer
"Koeppen im Herbst" - 2017
Fotos: Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald, Vincent Leifer
Writer´s Block - A Supercut
Leihgaben aus Koeppens Nachlass in Zürich
Unter dem Titel „Schreibrausch – Faszination Inspiration“ wurden vom 10.02. bis zum 07.05.2017 im Literaturmuseum Strauhof in Zürich (Schweiz) Exponate namhafter Schriftsteller präsentiert, darunter auch vier originale Typoskripte und ein Notizbuch aus dem Nachlass des Schriftstellers Wolfgang Koeppen. Die Ausstellung unternimmt den Versuch, den Furor poeticus als Ausgangspunkt der künstlerischen Kreativität anschaulich zu machen.
Dabei werden durchaus unterschiedliche Phänomene in den Blick genommen: „Von der Schreibblockade bis zum ungehemmten Schreibfluss, von Drogenprotokollen bis zu minutiösen Arbeitsplänen, von Schreibexperimenten bis zur schieren Graphomanie – die Entstehung literarischer Texte ist vielseitig und oft aussergewöhnlich.“ (Flyer zur Ausstellung). Außergewöhnlich ist auch die komplizierte Entstehungsgeschichte von Koeppens Prosatext Jugend, der nach verschiedenen Schreibanfängen und Abbrüchen, die Jahre, sogar Jahrzehnte zurückreichen, endlich 1976 als schmaler Prosaband erscheint und letztlich Fragment geblieben ist.
In Vorbereitung der literarischen Ausstellung wurde Dr. Magnus Wieland, Mitarbeiter des Schweizerischen Literaturarchivs in Bern, über die digitale „Textgenetische Edition“ von Wolfgang Koeppens Jugend auf die immerhin 1.500 Typoskriptseiten, die diesem Prosatext zugeordnet werden können, aufmerksam. Und so steht am Beginn der Ausstellung, die vor allem intensive Schreibphasen in den Blick nimmt, das Gegenbild der Schreibblockade, für die Koeppens mehrfach wiederholter Anfangssatz: „Meine Mutter fürchtete die Schlangen", geradezu paradigmatisch erscheint. Dieser Satz, dessen vielfache Wiederholung ebenso etwas Rauschhaftes hat, lässt Koeppen das eigene Schreiben immer wieder reflektieren. Als Auszug aus dem Typoskript MID-355-M018-001 erscheint er auch auf dem Plakat zur Ausstellung.
Marcel Reich-Ranicki: Anekdote zu einer Begegnung mit Wolfgang Koeppen
Zum Nachhören in der Ausstellung „Schreibrausch“
Als wir uns an jenem Abend verabschiedeten, gab er mir ein Exemplar seines Romans „Tod in Rom“. Das freute mich, doch wünschte ich mir [...] eine Widmung. Wolfgang Koeppen schien überrascht: Ja, gewiss, aber so schnell gehe das nicht, darüber müsse er erst nachdenken. Mit einem verlegenen Lächeln bat er um Verständnis: Er werde das Buch mitnehmen und es mir morgen mit einer Eintragung wiederbringen. 24 Stunden später überreichte mir Koeppen seinen Roman zum zweiten Mal. Doch ich wagte es nicht, den inzwischen von ihm verfassten Text in seiner Gegenwart zu lesen. Erst in meinem Hotelzimmer schlug ich, noch im Mantel, neugierig das Buch auf. Die Widmung lautete: „Für Herrn Marcel Reich-Ranicki in freundschaftlicher Zueignung.“ Unterschrift, Datum. Das war alles. Um diese Worte zu ersinnen, hatte Koeppen das Exemplar des Romans also für einen Tag nach Hause genommen. Über den Schriftsteller Detlev Spinell sagt Thomas Mann in seiner Novelle „Tristan“, dass dieser wunderliche Kauz, einen Brief schreibend, „jämmerlich langsam von der Stelle kam“. Und dann: „Wer ihn sah, der musste zu der Anschauung gelangen, dass ein Schriftsteller ein Mann ist, dem das Schreiben schwerer fällt als allen anderen Leuten.“ Als ich Koeppens konventionelle Widmungsformel las, die überdies noch fehlerhaft ist […], wurde mir ganz bewusst, welch sonderbarer und ungewöhnlicher Schriftsteller er war.
(Marcel Reich-Ranicki: Mein Leben. Stuttgart 1999)
Vier Typoskripte und ein Notizbuch im Original aus dem Nachlass des Schriftstellers Wolfgang Koeppen standen am Anfang der, laut Presseurteil, „wunderbaren Ausstellung“ im Literaturmuseum Strauhof in Zürich. Die Digitalisate können in der „Textgenetischen Edition“ von Jugend (www.koeppen-jugend.de) unter der Dokument-ID MID355-M015-001-001; MID 355-M001-064; MID 355-M009-006; MID 355-M012-035 und MID 355-M018-001 aufgerufen und im Textzusammenhang betrachtet werden.
Koeppens Schreibkrise als rauschhafter Prozess
http://www.nordkurier.de/kultur-und-freizeit/koeppens-schreibkrise-als-rauschhafter-prozess-0627001402.html
Zur Ausstellung „Schreibrausch – Faszination Inspiration“
https://www.nzz.ch/feuilleton/museum-strauhof-zuerich-ariadne-gibt-es-nicht-ld.144728
http://www.luzernerzeitung.ch/nachrichten/kultur/Schreibstau-und-Schreibrausch;art9643,964873
Literaturmuseum Strauhof in Zürich (Schweiz)
Typoskript: WKA MID 355-M018-001
„... unzählige Male wiederholt er [Koeppen] ein und denselben Satz, der wohl nicht von ungefähr auch das Gefühl der Angst zum Ausdruck bringt: „Meine Mutter fürchtete die Schlangen."
(Andreas Schwab und Magnus Wieland: Einleitung. In: Reader zur Ausstellung)