© Foto: Wolfgang-Koeppen-Archiv Greifswald, Andrea Werner

Eine unbeschriebene Ansichtskarte aus Rom

1956 fährt Wolfgang Koeppen im Auftrag des Süddeutschen Rundfunks nach Rom, um über die ewige Stadt zu berichten. Zur Erinnerung und vielleicht als Gedächtnisstütze für sein Schreiben bringt er einige Ansichtskarten mit. Eine Abbildung zeigt das Mahnmal für die zivilen Opfer eines deutschen Vergeltungsaktes im Jahre 1944 - die Fosse Ardeatine. Auch in seinem Reisebericht Neuer römischer Cicerone führt Koeppen den Leser an diesen Ort.

 

"Eine schwere Betonplatte lastet auf einem niedrigen Raum, in dem in graden Reihen die granitenen Sarkophage der Ermordeten stehen. Auf manchem Sarkophag liegen frische Blumen, auf anderen verwelken sie. Und unter Glas sieht man auf jeder Grabplatte, inmitten eines bronzenen Lorbeerzweiges eine Photographie des Erschossenen, darunter steht sein Name, sein Beruf, sein Alter geschrieben: Ilario Canacci, 17 Jahre alt, ein freimütiges Jungengesicht […], Alessandro Portilieri, 19 Jahre alt, Student, vielleicht beschäftigte er sich mit deutscher Philosophie […]."

Wolfgang Koeppen: Neuer römischer Cicerone. In: Ders.: Nach Russland und anderswohin. Empfindsame Reisen. Stuttgart 1973, S. 227 - 266, hier S. 259.

Die knappe Beschreibung des Raumes, dann der Sarkophage und der Blumen entspricht präzise dem dazugehörigen fotografischen Dokument und ist zugleich erschreckend nüchtern. Aber gerade dieses konzentrierte, aufmerksame Protokollieren wahrgenommener Fakten kommt dem gleich, was dargestellt wird: Eine der Höhlen war der Tatort. Koeppen zoomt immer weiter, nimmt Bilder der Erschossenen genau in den Blick. Dreihundertfünfunddreißig Menschen. Der Betrachter der Ansichtskarte ist an eine vorgegebene Perspektive gebunden, der Autor nicht. Er holt einzelne der Opfer näher heran, damit aus der Anonymität ins Blickfeld des Lesers. Koeppen schreibt gegen das Vergessen an, ist dabei bewusst sachlich, dennoch bleibt der Leser fassungslos zurück. „[…] es ist das bedrückendste und überzeugendste Denkmal des Krieges", resumiert der Autor.

© Text: Andrea Werner


Anhang zum Fragebogen des Military Government of Germany, November 1945

Bevor Wolfgang Koeppen 1945 schließlich zum Volkssturm eingezogen wird, lebt er etwa ab 1944 überwiegend in München oder hält sich in Feldafing am Starnberger See auf. Hier lernt er seine spätere Frau Marion Ulrich kennen. Nach dem Ende des Krieges verlangt die amerikanische Militärregierung detailliert Auskunft über Aktivitäten, Verdienst und politische Einstellungen während der Zeit der NS-Herrschaft. Angedroht wird, falsche und unvollständige Angaben zu ahnden. Koeppen füllt verschiedene Fragebögen aus und schreibt einen siebenseitigen Lebenslauf. Die unten aus dem Nachlass gezeigten prosaischen Notizen brechen nach der zweiten Seite ab. Vermutlich bezieht sich der Text auf einige der zusätzlichen Fragen, die unter Anmerkung "B. LEBENSLAUF" gestellt werden.

Aus: "Fragebogen S" des Military Government of Germany, November 1945, WKA Sig. 20948.

    

WKA Sig. 20946

Aus einem Fragebogen von 1967:

Was kann der einzelne Mensch gegen den Krieg unternehmen?

 

Wolfgang Koeppen: "Nicht teilnehmen. Ich weiß, das ist leicht gesagt. Es ist eine Frage der Moral und des Mutes. Auch kann man gezwungen werden, sich zu verteidigen, etwa die Juden im Warschauer Ghetto. Aber da beginnt schon wieder die Auslegung und das Übel. Jeder Angreifer versichert heute, den Menschen und seine ewigen Werte zu verteidigen."

Was kann der einzelne tun, damit die Welt verbessert wird?

 

Wolgang Koeppen: "Alles, nur er, der einzelne kann etwas tun. Selbst wenn er unterliegt."

 

Haben Sie Angst vor der Zukunft der Menschheit, und wenn ja, worin sehen Sie eine Gefahr?

 

Wolfgang Koeppen: "Die Gefahr ist und bleibt der Mensch."

WKA Sig. 22107

Dichter in der Arena.

AZ-Umfrage zum politischen Engagement der Schriftsteller

von Tanja König, erschienen in: Die Abendzeitung, München, 30. Juli 1965.

Die Fragen:

Koeppens Antworten:

WKA Sig. 7685